24.06.11

Wer ist der "tote General"?

Einer taucht immer wieder auf auf Berliner Demonstrationen: Das Gesicht geschminkt als Totenkopf trägt er meist einen gelben Bauarbeiter Helm, einen roten Pullover mit weißem Kreuz, das an die Schweiz erinnert oder einen schwarzen Umhang und eine rote Schaufel. Egal ob die Demonstration gegen das Sparpaket geht, gegen die Räumung der Liebigstraße in Friedrichshain, gegen Atomkraft oder einfach die 1. Mai Demo in Kreuzberg. Der Totenkopfmann ist auf allen Fotos der Zeitungen und Online-Magazine zu sehen:





taz, tagesspiegel, rp-online, morgenpost, welt, und viele mehr. Auf seinem Helm steht ein Schriftzug: „der tote General“. Wer also ist dieser „tote General“? Und was will er uns mit seinen wirkungsvoll medial in Szene gesetzten Auftritten sagen?

Inszenierte Bilder vom Tod kennt man z.B. aus dem Barock: Düstere Stilleben mit Totenkopf, die an die Vergänglichkeit mahnen sollen, um das saftige Leben im Hier und Jetzt besser schätzen zu können. Die Angst vor dem Tod war in der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts durch tödliche Krankheiten wie Pest und Cholera und Kriege wie den 30-jährigen Krieg allgegenwärtig.
Schaut sich der Betrachter ein barockes Stilleben mit Schädel, ausgeblasener Kerze und welkendem Blumenstrauss an, fröstelt ihn zunächst. Ihn überkommt ein Gefühl der Einsamkeit beim Gedanken an den Tod und es macht sich auch ein wenig Verzeiflung breit. Diese Verzweiflung führt zur Läuterung und damit zur Veränderung. Der Totenkopf spiegelt t die Leere des Menschen wider, der nach Sinn und Veränderung im Leben sucht. Dies lehrt uns auch die Traumdeutung: Der Tod als Symbol steht nicht für das Ende, sondern für einen grundlegenden Umbruch. Wenn etwas Altes geht, kommt etwas Neues.

Was geht also, und was kommt? Vanitas bedeutet „leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit“ und beschreibt die Vergänglichkeit des Irdischen, die Ohnmacht des Menschen am Leben festzuhalten. Bezogen auf das Vanitas-Symbol, den „toten General“ der Demonstranten könnte das heißen, dass diese Botschaft der Veränderung zum Positiven durch die Macht des Volkes bildlich als Kontrapunkt zur „Dagegen“-Botschaft der Plakate dienen soll: „Gegen das Sparpaket“, „Gegen Atomkraft“, „Gegen Kapitalismus“. Wie könnte also die positive Botschaft des „toten Generals“ lauten? Für eine lebendigere Gesellschaft? Für eine andere Gesellschaft? Für ein gemeinsames „Dagegen“?

Wenn er als Einzelner die Botschaft der Demonstranten hinter ihm in ein Bild inszeniert, transportiert er wirklich den Inhalt dieser politisch agierenden Menge oder dient ihm diese Kulisse für eine ganz eigene, subtile Gesellschaftskritik? Vielleicht spiegelt sich darin nur die postmoderne Verkürzung der Botschaften und ist dadurch hausgemachte Kritik am „leeren Schein, der Nichtigkeit und Eitelkeit“ der medialen Gesellschaft. Medien brauchen Bilder, um ihre Inhalte zu visualisieren und zu verkaufen. Das Bild eines Artikels zusammen mit der Schlagzeile soll bereits eine eigenständige mediale Botschaft transportieren. Zeitungen und Online-Magazine, die immer wieder den „toten General“ zeigen, scheinen nicht zu merken, wie sie dabei instrumentalisiert werden. Vielleicht, weil auch keiner nachfragt. In wenigen Stunden gibt es die nächste Schlagzeile, das nächste Bild. Wieder eine Art von zur Schau gestellter Vergänglichkeit also.

Im Barock gehörten die Bilder an die Wände der Kirchen und Machthaber, später dann auch dem aufstrebenden Bürgertum. Heute gehören die Bilder dem Volk, von dem alle Macht ausgeht. Kunst findet dementsprechend nicht nur in Museen statt, die für alle zugänglich sind, sondern vor allem im öffentlichen Raum. Und diesen Mechanismus nutzt der „tote General“.


Es wundert also nicht, dass der „tote General“ jahrelang als Graffiti Künstler in München unterwegs war. Bekannt wurde er als Sprayer „Cemnoz“. Studiert hat er an der Kunstakademie. Inspirieren lässt er sich von Joseph Beuys „sozialer Plastik“. Soziale Plastik meint ein Kunstkonzept, das versucht – ähnlich wie Politik - Gesellschaft durch menschliches Handeln zu verändern und den Kunstbegriff vom rein Materiellen zu lösen. Also eine Art politische Performance eines Künstlers, der seine Umgebung miteinbezieht. Der Betrachter wird wirkungsvoll Teil des Werkes, möglicherweise ohne es zu merken oder sich entziehen zu können. „Cemnoz“ nutzt die Kunst der Straße, um seine Figuren „der tote General“, „der Cleaner“ und „der schwarze Engel“ in Szene zu setzen. Er beruft sich auf die globale oder soziale Plastik von Beuys, auf das Grundprinzip von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das spiegele Körper, Seele und Geist. Es seien immer Dreigliederungen, nicht nur auf spiritueller Ebene, sondern auch in vielen Bereichen der Gesellschaft.



Wie kam Cemnoz zum toten General? Er sagt: „Es sind eben Entwicklungsprozesse. Der Charakter war da so ab 2003.“ Er sei anlässlich eines HipHop Jam entstanden. Cemnoz dachte sich, er wolle sich da zum Affen machen und dennoch durch ein Kostüm schützen. „Das ist irre gut angekommen. Vor zwei Jahren habe ich es in Berlin wieder ausgepackt und auf der Straße probiert und das kommuniziert total gut“.



Nachdem er einmal beim Sprühen erwischt, ihm sämtliche Dosen von der Polizei konfisziert wurden, fragte er sich, was er noch habe. Das sei ein Moment des Loslassens gewesen: „Also Tod auch im Sinn von sich transformieren. Er ist ja auch eine Antifigur, indem dass er eigentlich für das Leben ist. Er macht ja darauf aufmerksam, dass das was stattfindet den Tod auch als Folge hat. Also dieses anglo-amerikansiche Denken von „wir müssen alles kaputt kloppen, um das Neue zu bauen“. Das ist ja genau das Kontra. Und es gibt ja drei Charaktere. Die globale oder soziale Plastik von Beuys, also das Grundprinzip von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das spiegelt Körper, Seele, Geist. Das sind immer Dreigliederungen. Was sich auch immer auf spirituelle Geschichten bezieht, aber auch auf Bereiche in der Gesellschaft, die sich so eingliedern. Und da drei Charaktere: Für den Körper steht der General. Der ist tot, ein toter Körper. Das zweite ist der „Cleaner“.

Der „Cleaner“ ist Orange gekleidet mit Besen. Letztes Jahr hat er sich vom Hauptbahnhof über den Reichstag zum Brandenburger Tor seinen Weg gefegt. Getragen hat er dabei eine Mundschutzmaske, wie sie in Japan gerade hoch im Kurs steht. Der „Cleaner“ stehe für die Seele. Er kehrt das Seelenhaus aus.

„Der schwarze Engel“, sein dritter Charakter steht für den Geist. Der umnachtete oder trauernde Geist im Moment. Der sei nicht hell und er freue sich nicht.



Cemnoz geht mit seinen Figuren weiter. Er lässt sich nicht nur fotografieren und interagiert mit den Menschen auf der Straße. Er benutzt bewusst die Medien, die ihn als Visualisierung ihrer Geschichte des Protestes auf der Straße immer wieder selbst benutzen, um wiederum die virtuelle Bilderwelt in seine Collagen einzubauen. Er zitiert also im postmodernen Sinn das Zitat und schafft dadurch wieder etwas Eigenständiges. Er schafft somit Wiedererkennbarkeit.

Und damit wird die Vergänglichkeit der Macht wird zur Schau gestellt. Alle Macht geht vom Volke aus, aber wie lange bleibt das noch so? Manchmal gehen nur noch knapp über die Hälfte der Bürger wählen. Bei Europawahlen sogar noch weniger. Das ist ein desolates Bild der Macht. Um so wichtiger ist es, dass der „tote General“ gewissermaßen als lebendiges Vanitassymbol genau auf diese Vergänglichkeit der demokratischen Macht aufmerksam macht.