24.06.11

Wer ist der "tote General"?

Einer taucht immer wieder auf auf Berliner Demonstrationen: Das Gesicht geschminkt als Totenkopf trägt er meist einen gelben Bauarbeiter Helm, einen roten Pullover mit weißem Kreuz, das an die Schweiz erinnert oder einen schwarzen Umhang und eine rote Schaufel. Egal ob die Demonstration gegen das Sparpaket geht, gegen die Räumung der Liebigstraße in Friedrichshain, gegen Atomkraft oder einfach die 1. Mai Demo in Kreuzberg. Der Totenkopfmann ist auf allen Fotos der Zeitungen und Online-Magazine zu sehen:





taz, tagesspiegel, rp-online, morgenpost, welt, und viele mehr. Auf seinem Helm steht ein Schriftzug: „der tote General“. Wer also ist dieser „tote General“? Und was will er uns mit seinen wirkungsvoll medial in Szene gesetzten Auftritten sagen?

Inszenierte Bilder vom Tod kennt man z.B. aus dem Barock: Düstere Stilleben mit Totenkopf, die an die Vergänglichkeit mahnen sollen, um das saftige Leben im Hier und Jetzt besser schätzen zu können. Die Angst vor dem Tod war in der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts durch tödliche Krankheiten wie Pest und Cholera und Kriege wie den 30-jährigen Krieg allgegenwärtig.
Schaut sich der Betrachter ein barockes Stilleben mit Schädel, ausgeblasener Kerze und welkendem Blumenstrauss an, fröstelt ihn zunächst. Ihn überkommt ein Gefühl der Einsamkeit beim Gedanken an den Tod und es macht sich auch ein wenig Verzeiflung breit. Diese Verzweiflung führt zur Läuterung und damit zur Veränderung. Der Totenkopf spiegelt t die Leere des Menschen wider, der nach Sinn und Veränderung im Leben sucht. Dies lehrt uns auch die Traumdeutung: Der Tod als Symbol steht nicht für das Ende, sondern für einen grundlegenden Umbruch. Wenn etwas Altes geht, kommt etwas Neues.

Was geht also, und was kommt? Vanitas bedeutet „leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit“ und beschreibt die Vergänglichkeit des Irdischen, die Ohnmacht des Menschen am Leben festzuhalten. Bezogen auf das Vanitas-Symbol, den „toten General“ der Demonstranten könnte das heißen, dass diese Botschaft der Veränderung zum Positiven durch die Macht des Volkes bildlich als Kontrapunkt zur „Dagegen“-Botschaft der Plakate dienen soll: „Gegen das Sparpaket“, „Gegen Atomkraft“, „Gegen Kapitalismus“. Wie könnte also die positive Botschaft des „toten Generals“ lauten? Für eine lebendigere Gesellschaft? Für eine andere Gesellschaft? Für ein gemeinsames „Dagegen“?

Wenn er als Einzelner die Botschaft der Demonstranten hinter ihm in ein Bild inszeniert, transportiert er wirklich den Inhalt dieser politisch agierenden Menge oder dient ihm diese Kulisse für eine ganz eigene, subtile Gesellschaftskritik? Vielleicht spiegelt sich darin nur die postmoderne Verkürzung der Botschaften und ist dadurch hausgemachte Kritik am „leeren Schein, der Nichtigkeit und Eitelkeit“ der medialen Gesellschaft. Medien brauchen Bilder, um ihre Inhalte zu visualisieren und zu verkaufen. Das Bild eines Artikels zusammen mit der Schlagzeile soll bereits eine eigenständige mediale Botschaft transportieren. Zeitungen und Online-Magazine, die immer wieder den „toten General“ zeigen, scheinen nicht zu merken, wie sie dabei instrumentalisiert werden. Vielleicht, weil auch keiner nachfragt. In wenigen Stunden gibt es die nächste Schlagzeile, das nächste Bild. Wieder eine Art von zur Schau gestellter Vergänglichkeit also.

Im Barock gehörten die Bilder an die Wände der Kirchen und Machthaber, später dann auch dem aufstrebenden Bürgertum. Heute gehören die Bilder dem Volk, von dem alle Macht ausgeht. Kunst findet dementsprechend nicht nur in Museen statt, die für alle zugänglich sind, sondern vor allem im öffentlichen Raum. Und diesen Mechanismus nutzt der „tote General“.


Es wundert also nicht, dass der „tote General“ jahrelang als Graffiti Künstler in München unterwegs war. Bekannt wurde er als Sprayer „Cemnoz“. Studiert hat er an der Kunstakademie. Inspirieren lässt er sich von Joseph Beuys „sozialer Plastik“. Soziale Plastik meint ein Kunstkonzept, das versucht – ähnlich wie Politik - Gesellschaft durch menschliches Handeln zu verändern und den Kunstbegriff vom rein Materiellen zu lösen. Also eine Art politische Performance eines Künstlers, der seine Umgebung miteinbezieht. Der Betrachter wird wirkungsvoll Teil des Werkes, möglicherweise ohne es zu merken oder sich entziehen zu können. „Cemnoz“ nutzt die Kunst der Straße, um seine Figuren „der tote General“, „der Cleaner“ und „der schwarze Engel“ in Szene zu setzen. Er beruft sich auf die globale oder soziale Plastik von Beuys, auf das Grundprinzip von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das spiegele Körper, Seele und Geist. Es seien immer Dreigliederungen, nicht nur auf spiritueller Ebene, sondern auch in vielen Bereichen der Gesellschaft.



Wie kam Cemnoz zum toten General? Er sagt: „Es sind eben Entwicklungsprozesse. Der Charakter war da so ab 2003.“ Er sei anlässlich eines HipHop Jam entstanden. Cemnoz dachte sich, er wolle sich da zum Affen machen und dennoch durch ein Kostüm schützen. „Das ist irre gut angekommen. Vor zwei Jahren habe ich es in Berlin wieder ausgepackt und auf der Straße probiert und das kommuniziert total gut“.



Nachdem er einmal beim Sprühen erwischt, ihm sämtliche Dosen von der Polizei konfisziert wurden, fragte er sich, was er noch habe. Das sei ein Moment des Loslassens gewesen: „Also Tod auch im Sinn von sich transformieren. Er ist ja auch eine Antifigur, indem dass er eigentlich für das Leben ist. Er macht ja darauf aufmerksam, dass das was stattfindet den Tod auch als Folge hat. Also dieses anglo-amerikansiche Denken von „wir müssen alles kaputt kloppen, um das Neue zu bauen“. Das ist ja genau das Kontra. Und es gibt ja drei Charaktere. Die globale oder soziale Plastik von Beuys, also das Grundprinzip von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das spiegelt Körper, Seele, Geist. Das sind immer Dreigliederungen. Was sich auch immer auf spirituelle Geschichten bezieht, aber auch auf Bereiche in der Gesellschaft, die sich so eingliedern. Und da drei Charaktere: Für den Körper steht der General. Der ist tot, ein toter Körper. Das zweite ist der „Cleaner“.

Der „Cleaner“ ist Orange gekleidet mit Besen. Letztes Jahr hat er sich vom Hauptbahnhof über den Reichstag zum Brandenburger Tor seinen Weg gefegt. Getragen hat er dabei eine Mundschutzmaske, wie sie in Japan gerade hoch im Kurs steht. Der „Cleaner“ stehe für die Seele. Er kehrt das Seelenhaus aus.

„Der schwarze Engel“, sein dritter Charakter steht für den Geist. Der umnachtete oder trauernde Geist im Moment. Der sei nicht hell und er freue sich nicht.



Cemnoz geht mit seinen Figuren weiter. Er lässt sich nicht nur fotografieren und interagiert mit den Menschen auf der Straße. Er benutzt bewusst die Medien, die ihn als Visualisierung ihrer Geschichte des Protestes auf der Straße immer wieder selbst benutzen, um wiederum die virtuelle Bilderwelt in seine Collagen einzubauen. Er zitiert also im postmodernen Sinn das Zitat und schafft dadurch wieder etwas Eigenständiges. Er schafft somit Wiedererkennbarkeit.

Und damit wird die Vergänglichkeit der Macht wird zur Schau gestellt. Alle Macht geht vom Volke aus, aber wie lange bleibt das noch so? Manchmal gehen nur noch knapp über die Hälfte der Bürger wählen. Bei Europawahlen sogar noch weniger. Das ist ein desolates Bild der Macht. Um so wichtiger ist es, dass der „tote General“ gewissermaßen als lebendiges Vanitassymbol genau auf diese Vergänglichkeit der demokratischen Macht aufmerksam macht.

17.03.11

Wir sind dabei. Wir sind dagegen.

Unter den dramatischen Eindrücken eines mehrfach explodierenden Atomkraftwerkes in Japan, drängt sich Vielen in diesen Tagen ein dringendes Bedürfnis nach Atomprotest auf. Das fühlt sich an wie eine aufsteigende Übelkeit nachdem man sich überfressen hat. Überfressen an Energie, getrieben durch fast unstillbaren Stromhunger.

Für meine Generation, die 1986 als sich der Reaktor in Tschernobyl in radioaktiven Rauch aufgelöst hat, noch ein Kind war, sollte eigentlich klar sein, dass sich so eine furchtbare Katastrophe nicht noch einmal ereignen darf. Ende der Achtziger Jahre waren wir alle an der Schule mehr oder minder umweltbewegt, protestierten in Geschäften dadurch, dass wir keine Plastiktüten angenommen haben – was damals doch heftige Diskussionen nach sich zog. Die Eltern wurden gedrängt, Strom zu sparen, mit Bus und Bahn zu fahren, statt mit dem Auto und der Physiklehrer wurde gelöchert mit Fragen zur Funktionsweise und Sicherheit von Atomkraftwerken.

25 Jahre später ist nichts davon geblieben. Oder fast nichts. Jetzt, wo die Meisten schon eigene Kinder haben, ist der Einkauf beim Bio-Supermarkt schon die Vollendung des eigenen Umweltengagements. Besonders Fleißige wählen sogar die Grünen und ein paar Wenige wechseln dann noch zu einem Ökostromanbieter.




Haben wir denn gar nichts gelernt? Wir, die wir mit der Umweltbewegung groß geworden sind? Wir, die wir mit einer rot-grünen Regierung den Ausstieg aus der Atomkraft gewählt haben? Immer noch entscheidet das Geld, der Preis, die Leistung über unser Handeln. Doch die Natur bittet nicht um Kapital. Die Natur hat ihren eigenen Preis, vielmehr gar keinen oder einen unbezahlbaren: Das Leben. Je mehr wir also im Einklang mit der Natur leben desto besser könnte ein Fazit lauten. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Enkel.

Warum investieren wir dann nicht in die Natur? Die Atomlobby ist die stärkste Lobby im Deutschen Parlament.diktiert der Politik förmlich ihr Handeln. Getrieben von Riesengewinnen, frohlockt sie: „Huhu, Steuerabgaben winken. Winke, Winke.“ Und die Macht im Staat, also die Mehrheit im Volk, fällt scheinbar darauf herein. Vergessen, der saure Regen, in den man vor ca. 25 Jahren vielleicht versehentlich reingeraten ist. Vergessen, das tagelange Spielplatzverbot. Vergessen die Angst und die Sorge, die uns Aufklärungsfilme wie „Wenn der Wind weht“ gemacht haben. Alles ist gut, solange es gut ist.

Sogar Greenpeace Gründer Patrick Moore wechselte die Seiten und ließ sich von der Atomkraft kaufen. Weniger CO2 sei schließlich auch gut fürs Klima. Ein Riesen Glaubwürdigkeitsverlust, den Greenpeace aber locker wegzustecken scheint. Kein Wunder, nur beim Gedanken an Greenpeace kommt das wohlige Gefühl unserer Kindheit hoch: Wir sind doch diejenigen die sich für die Umwelt stark gemacht haben. Und in Gedanken tun wir es immer noch. Alles nur Sofaaktivismus.

Fand Umweltprotest früher auf der Strasse statt, macht es heute einem das Internet einfach sich zu engagieren, z.B. als Mitglied in der Greenpeace Facebook-Gruppe „We want facebook to use 100% renewable energy“. Auf den ersten Blick ist der Protest ins Netz eingezogen wie auch hier: Facebook „Atomkraft Nein Danke“, doch was sich dahinter verbirgt ist Lifestyle. Hat das noch mit wirklichem Protest zu tun? Die Suchmaschine „ecosia“ suggeriert CO2-armes recherchieren im Internet. Dabei basiert sie nach eigenen Angaben auf Produkten von Microsoft und Yahoo. Der Nutzer wird allerdings nur über die FAQs darüber aufgeklärt.

Atomkraft, nein Danke. Wir stellen Profilbilder mit einer Protestsonne auf Facebook, wodurch wir ausdrücken wollen, wir sind dabei. Wir sind dagegen. Wiegesagt, es weckt Erinnerungen. Leider konnte ich das Video eines in die Jahre gekommenen Ehepaars nicht mehr finden, in dem die Frau gegen Castoren protestiert und sagt:„1985 waren wir das erste mal hier, wir machen das jetzt als Revival der Familie“ Aber nicht nur das. Es gehört auch zu unserem Lifestyle. Dennoch frage ich mich, ob der Mac-User aus dem Prenzlauer Berg ausgestattet mit grüner Kampagnensymbolik und weiß-grauer Website mit abgerunden Ecken, sich einen Gedanken darüber gemacht hat, woher sein Provider den Strom bezieht. Es wäre doch geradezu absurd über den Computer gegen Atomkraft zu protestieren, wenn der Computerstrom aus dem Atomkraftwerk gespeist wird. Aber das nur am Rande. Andersherum grotesk ist ja auch, dass die Seite kernenergie.de größtenteils über einen Ökostromprovider läuft. Hier der Link zum selber ausprobieren: http://www.heise.de/netze/tools . Irgendwie verkehrte Welt. Atomausstieg könnte doch so leicht sein. Man wechselt seinen Stromanbieter und bezieht Ökostrom. Meistens gibt es sogar einen Gutschein eines Biosupermarktes noch dazu. Dennoch beziehen nur ca. 5% der deutschen Haushalte Strom des beruhigten Ökogewissens. Hm, sollte man das Gewissen von 95% der Verbraucher in Frage stellen?
Naja, Kindheitserinnerungen blenden ja im Allgemeinen negative Erinnerungen verstärkt aus.

Zurück zur Kohle. Also vielmehr zum Geld und denjenigen, die in Atomkraft investieren. Auf der Seite nuclearbanks.org werden die Geldgeber der Atomlobby aufgezeigt. Die Sicherheit der Kernkraftwerke ist ein globales Thema. Selbst wenn Deutschland von heute auf gleich den Atomausstieg umsetzen würde, bleiben die Atomkraftwerke unserer Nachbarn, z.B. in Frankreich (Cattenom). Doch selbst dieses Land, das derzeit zunehmend auf mehr Atomkraft setzt, kauft Strom aus Deutschland. Diese Seite versucht die finanziellen Verknüpfungen aufzuzeigen: Ist ein ideologisch aufgeladener Protest überhaupt geeignet, sich gegen rein wirtschaftliche Interessen durchzusetzen?

Herausgeber dieser Seite ist u.a. Greenpeace. Erstaunlich, wie Jan Haase, Leiter der Kommunikation von Greenpeace Energie hier neue Verbündete ausmacht.



Eigentlich ist dieses Video als Web-TV Pilotangebot letzten Herbst während der Proteste gegen die Verlängerung schwarz-gelber Laufzeiten entstanden. Es handelt sich hier um eine gekürzte Fassung. Moderation: Kristin Joachim. Redaktion: Karina Fissguss, Stefan Schrötke. Technische Umsetzung: Patrick Lindhoff, Hans-Jürgen Mörsch.

Offen bleibt die Frage nach unserem Stromhunger dennoch. Für die ersten Schritte nach dem Wechsel zu einem Ökostromanbieter zu Hause bietet ecologee.net eine Übersicht über Internet Service Provider, die ohne Atomstrom laufen.
Dennoch steigt der Stromverbrauch steigt zunehmend durch den mobile Lifestyle. Laptops, Handys, Server benötigen durch einen immer höher werdenden Traffic immer mehr Energie. So verbraucht ein Second Life Avatar über seine Server 195 KWSt. Strom im Jahr. Auf der CeBIT 2010 stellte das Umweltbundesamt unter Schirmherrschaft des BMU grüne Informationstechnik vor. Wie können regenerative Energien für Server genutzt werden? Welche technologischen Entwicklungen gibt es, die zur Energieeffizienz und zum ökologischen Elektroschrott-Recykling beitragen können? Ist Green IT ein Thema, das die Bundespolitik beschäftigt? In der Enquete Kommission Internet und digitale Gesellschaft ist es jedenfalls ein Diskussionspunkt.

Wer sich über Green-IT weiter informieren möchte, kann hier oder da nachlesen oder sich ein paar witzige und nützliche green gadgets anschauen.

2006 kam von netzpolitik.org großes Lob für die Online Kampagne Green My Apple. Ist davon eigentlich je was umgesetzt worden?

Aber genau wie die Rettungsmaßnahmen mit Wasserwerfern und Hubschraubern, die Wasser auf das Atomkraftwerk in Fukushima abwerfen sollen, sind all die oben genannten Maßnahmen eher sprichwörtlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg ist kein langfristiges Konzept. Brauchen wir nicht eher einen gesamtgesellschaftlichen, wenn nicht sogar einen globalen Konsens darüber wie wir verantwortungsvoll mit der Natur und letztlich auch mit unserem Leben umgehen wollen? Ich jedenfalls habe keine Lust darauf, dass mir in naher Zukunft noch mehr Atomkraftwerke um die Ohren fliegen.


Eine Utopie hätte ich sogar ...
mehr dazu in meinem nächsten Blogbeitrag ...

08.02.11

Debatte um flexible Arbeitszeitgestaltung

Viele Frauen, die Mutter geworden sind haben es ganz schön schwer mit der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Es geht darum, dass in der Generation zwischen 20 und 40 Jahren, also in der Zeit in der sich die meisten Frauen für Kinder entscheiden, meist nur befristete Arbeitsverhältnisse möglich sind. Vielleicht bilden Juristen und Ärzte eine Ausnahme, aber in den meisten Berufen, ob in einem sozialen, kulturellen oder sogar journalistischen Umfeld ist das gängige Praxis. Dies hat meist eine dramatische Benachteiligung von Müttern oder Eltern in der Berufswelt zufolge.


Es geht hier nicht nur um flexible Arbeitszeiten per Gesetz. Denn flexible Arbeitszeiten können nur diejenigen wirklich einklagen, die fest angestellt sind. Dagegen stehen viele Elternteile, meist Mütter, die in zeitlich befristeten Verträgen angestellt sind. In der Praxis sieht das dann so aus. Die Mütter werden schon während ihrer Schwangerschaft unter Druck gesetzt, eine möglichst kurze Auszeit zu nehmen z.B. mit der Argumentation, es könne keine Elternzeitvertretung für einen längeren Zeitraum organisiert werden. Die Elternzeit zu verlängern kann ebenso schwierig werden. Kündigungen in der Elternzeit sind auch keine Seltenheit. Zum Schluss folgt dann der Hinweis auf die - möglicherweise sehr ungünstigen - Arbeitszeiten, die so vor der Schwangerschaft vertraglich vereinbart worden seien. Klage sinnlos, denn es droht eine Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages. So haben alle bislang geschwiegen.

Bewerbung von Frauen besonders erwünscht scheint nicht so ganz zu stimmen. Das ist das eigentliche Problem bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn es sollte heißen Karriere mit Kind und nicht Karriere trotz Kind. Es geht nicht darum, weniger Geld zu haben, wenn man Kinder bekommt. Es geht darum, wieder am Arbeitsleben teilhaben zu können und trotzdem Zeit für seine Kinder zu haben.

Eltern, die sich in einem vernünftigen Maß um ihre Kinder kümmern wollen, werden im Berufsleben durch befristete Arbeitsverträge extrem benachteiligt, weil geltendes Recht durch Einschüchterung umgangen wird. Bislang scheinen sowohl Politiker aller Fraktionen als auch die Medien die gesellschaftliche Brisanz dieser gängigen Arbeitsgeberpraxis noch nicht erkannt zu haben. 



03.02.11

Gentrifizierung in Berlin - Tagesthema

Kompliment für Joachim Rüetschi für seinen Tagesthemen Beitrag vom 02. Februar 2011 "Gentrifizierung in Berlin."



Vergleiche dazu meinen Beitrag vom Sommer 2010 anlässlich 20 Jahre Hausbesetzung in der Rigaer Straße in Friedrichshain.



Aber eines darf man bei diesem Liebig14 Hype nicht vergessen. Es gibt in Friedrichshain zwei Sorten Hausbesetzer. Die einen, wie Blase, denen es wirklich um die Erhaltung eines alternativen Kiezes geht und um niedrige Mieten.Die haben es aber auch gewaltlos und über langwierige Verhandlungen mit dem Senat geschafft. Ergebnis: Saniertes Haus, günstige Miete und das im Herzen Berlins. Die anderen Hausbesetzer, dazu zählen auch einige im Umkreis der Liebigstraße, ziehen ein, ziehen aus und man fragt sich, inwiefern sie sich wirklich für das Haus. in dem sie wohnen, interessieren und einsetzen. Denn Gewalt, auch gegenüber der Bausubstanz ist keine Lösung. Aber Intersse und Einsatz für dauerhaft niedrige Mieten sind bitter nötig!

02.02.11

öffentlich-rechtliches Berichterstattungsfail #liebig14

Die Räumung des besetzten Hauses in der Liebigstraße 14 in Berlin-Friedrichshain ist eine Nachricht. Eine Nachricht, die mal locker im Handumdrehen es zum beliebtesten Twitterthema am heutigen 02. Feb. 2011 geschafft hat. taz, B.Z., Berliner Zeitung haben via Twitter und Live Ticker berichterstattet. Die Berliner Piratenpartei hat mit Kameras aus den Nachbarhäusern über justin.tv live gestreamt. Das klappte mehr schlecht als recht, denn die max. Kapazität von 500 Zuschauern war schnell überschritten. N24 hat dann ab mittag den Livestream direkt vor Ort übernommen. Im Netz hieß es dann schon "Der N24-Livestream zur #liebig14 Räumung istganz großes journalistisches Kino! http://bit.ly/lRmCx Da kann Al Jazeera einpacken"

Man kann also davon ausgehen, dass sich ziemlich viele Leute - nicht nur in Berlin - für dieses Thema interessiert haben und interessieren. Berichterstattung auf rbb-online - Fehlanzeige! Eine einzige Seite mit ein paar alten Beiträgen und einem statischen, nicht aktualisierten Text, liefert das Online Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Besonders bemerkenswert der Hinweis am Ende des Textes: "Dieser Beitrag gibt den Sachstand vom 02.02.2011 wieder. Neuere Entwicklungen sind in diesem Beitrag nicht berücksichtigt." Gut, im klassischen Fernsehen und Radio laufen die News. Aber gibt es nicht so etwas wie einen öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag? Der gilt meines Wissens doch auch für die audiovisuellen Angebote im Netz. Dafür zahlen wir doch schließlich auch Gebühren, das sind 17,28 EUR GEZ Comuterabgabe für 3 Monate.

Wo ist also der rbb-livestream mit LIve Ticker auf rbb-online?

Räumung der Liebigstraße 14 - warum auch Anwohner auf der Straße sind

Livestream gegenüber der Liebigstraße 14 in Berlin-Friedrichshain. Das besetzte Haus wird geräumt. Anwohner und Nachbarn schütteln den Kopf: "Was das alles hier kostet. Die könnten das Geld doch viel besser einsetzen". Hundertschaften der Polizei sind aus der ganzen Republik angerückt, um die bevorstehende Eskalation sympathisierender Schwarzkapuzenträger aus ganz Europa aufzuhalten.



Was wollen die Bewohner der Liebig 14 eigentlich erreichen? Es geht um niedrige Mieten in Friedrichshain. Eigentlich in ganz Berlin. Der Berliner an sich wohnt ja zum Teil noch recht günstig mit seinem alten Mietvertrag in seiner Altbauwohnung. Wer aber umziehen will oder neu hierher zieht, der wundert sich. 80 Quadratmeter für 1000,- EUR sind bald der Normalfall. Topsaniert versteht sich. Die Entwicklung bei den Löhnen steht dazu in keinem Verhältnis. Friedrichshain brüstet sich Kiez der Kreativen und Medienschaffenden zu sein. Die allerdings eher nicht so viel Geld in der Tasche haben.




Günstig wohnen in Berlin kann dann mal so aussehen. Der Vermieter ist ein britischer Investmentfonds und wirbt auf Hochglanzwebseiten mit Top Investment in Berlin. Die Häuser allerdings werden heruntergewirtschaftet, die Mieten steigen trotzdem oder die Wohnungen werden vorzugsweise an WGs überteuert vermietet. Come and Go, das hebt den Mietpreis und die Rendite. Aber genau das wollen sich eben nicht alle in Friedrichshain gefallen lassen und verstehen die Wut auf der Straße.

2012 soll die soziale Wohnungsbauförderung auslaufen. Eine Änderung im Bundesbaugesetz, die Mieterstruktur in den Kiezen zu schützen ist nicht geplant. Konkret heißt das, Investoren kaufen und sanieren. Und die Mieten werden weiter steigen.